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Saarbrücker Zeitung, 9.5.2005

Irrwitzige Alice in Bestform

Ein schrilles Theaterstück hatte am Wochenende in Dudweiler Premiere: Alice im Wunderland, frei nach Lewis Carroll. Das Statt-Theater entführte das Publikum gekonnt in eine alptraumhafte Welt mit schaurigen Gestalten.

von SZ-Mitarbeiterin Ruth Rousselange

Dudweiler. Arme kleine Alice. Da liegt sie, ganz in Weiß, in einer weißen Plastikplanenwelt. Dazu läuft schrilles Vogelgezwitscher vom Band, psychedelische Musik. Alice taumelt uns entgegen, ihr Kleid blutbeschmiert, ungesunde rote Schatten unter den Augen. "Alles ist verkehrt" stottert sie und reißt uns mit in eine alptraumhafte, grünlich leuchtende Welt, bevölkert mit schaurig-schrulligen Gestalten.

Im ausverkauften Dudweiler Statt-Theater hatte "Alice im Wunderland", frei nach Lewis Carroll, am Wochenende Premiere - eine Version für Erwachsene, vollgestopft mit komischen und düsteren Momenten. Irgendwie sehen diese morbiden Wesen alle krank aus, die Alice, super gespielt von Linda Walgenbach, beleidigen und beschimpfen. Mit Gesichtern geschminkt wie im Endstadium einer Drogensucht, machen sie sich an Alice heran und bringen die Reste ihrer Logik zum Einsturz. Andreas Blaesius als träge Opium rauchende Raupe, Susanne Kruse als boshafte Schwarze Königin und Sandra Klein als Herzogin und Herzkönigin mit Peitsche und dominanten Mordgelüsten: eine ausweglose Bedrohung? Doch „Alice“ ist auch zum Brüllen komisch. Wenn Dieter Meier als Hutmacher und Jochen Sauer als Märzhase zur rotierenden Tee-Zeremonie auf Styroporklötzen die nicht vorhandenen Tassen heben, bricht auf der Bühne die Hölle los.

Regisseur Dimitrij Senatorow knüpft an Carrolls Motive, seinen auf den Kopf gestellten Regelwust und seine irrwitzigen Sprachspiele, an. Er hat sie in seiner Bearbeitung gekonnt im Carroll'schen Nonsens-Stil fortgeschrieben. Und so brüllen sich Hutmacher und Märzhase in Pelzjäckchen und schwarzer Gesichtsmaske im Sadomaso-Stil auf's Schönste sprachirrwitzig an. Das weiße Kaninchen bläst grell die Trompete zum "Kopf-ab"-Geschrei der Herzkönigin, und Dideldei (Uwe Andersen) und Dideldum (Michael Dengel) wollen der zunehmend in Panik geratenden Alice gewaltsam an die Wäsche. Nachdem Senatorow vor zwei Monaten aus beruflichen Gründen aus dem Stück ausscheiden musste, hat das Statt-Theater-Team die Regie gemeinsam ge-stemmt und eine beeindruckende "Alice"-Version jenseits der kindlich harmlosen Traumwelt auf die Beine gestellt. Von der originell aus Mülltüten und Plastiksäcken geschneiderten Kleidung, dem steril unheimlichen Bühnenbild bis zum Text mit Fingerspitzengefühl: alles gelungen und toll gespielt. Immer hinfälliger sieht Alice aus, Blut rinnt aus Nase und Ohr. Entspringen Hutmacher und Grinsekatze nur ihrem kranken Hirn? Hat die brutale Erwachsenenwelt diese nicht mehr kindliche Alice so ausgesaugt und wachsbleich werden lassen? Viel könnte man hineindeuten in Alice, eine verwirrte Schwester Schneewittchens, die niemand mehr wachküssen wird. Dafür gab's tosenden Applaus.

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